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Gepostet am 22. April 2024 von  Alexander Bahr, Mitglied im Vorstandsstab (Bereich Strategie und Regulatorik) bei der dwpbank; Thorsten Reepen, Projektmanager bei Severn Consultancy 🕐 5 min Lesezeit

Serie zur Retail Investment Strategy der EU-Kommission (Neue Pflichten in Anlageberatung und beratungsfreiem Geschäft)

Willkommen zurück zu unserer fortlaufenden Blogserie zur Retail Investment Strategy der Europäischen Kommission, die sich mit der Neuordnung des Retail-Investmentmarktes auseinandersetzt. In den ersten beiden Teilen unserer Serie haben wir das kontrovers diskutierte Thema des Provisionsverbots beleuchtet. Unter der sachkundigen Führung des Fachexperten, Herrn Alexander Bahr von der dwpbank, untersuchten wir die tiefgreifenden Änderungen, die das Verbot in den Bereichen der Portfolioverwaltung und der nicht unabhängigen Anlageberatung nach sich zieht. Insbesondere betrachteten wir die umfassenden Auswirkungen auf die Finanzdienstleistungslandschaft, die Transparenz, die Vermeidung von Interessenkonflikten und die Qualität der Anlageberatung.


Lesen Sie dazu auch unseren ersten Teil der Serie



Lesen Sie dazu auch unseren zweiten Teil der Serie


Der heutige Fokus

Heute erweitern wir unsere Diskussion um einen wichtigen Teil der Retail Investment Strategy, indem wir die neuen Verpflichtungen in der Anlageberatung und im beratungsfreien Geschäft betrachten. Diese Neuerungen zielen darauf ab, die bestehenden Grenzen zwischen den verschiedenen Dienstleistungsarten neu zu definieren und sicherzustellen, dass alle Finanzinstrumente und Beratungsprozesse tatsächlich im besten Interesse der Kunden agieren. Ein zentrales Element ist der Best-Interest-Test, der die Anlageberatung nach strengeren Maßstäben bewerten wird. Zusätzlich wird die Angemessenheitsbeurteilung im beratungsfreien Geschäft erweitert, was erhebliche praktische Herausforderungen mit sich bringt und die Notwendigkeit neuer Anpassungen unterstreicht.

In diesem Beitrag wird Herr Bahr detailliert erörtern, welche spezifischen Veränderungen vorgenommen werden, wie diese den Sektor beeinflussen und welche neuen Verpflichtungen für die Anbieter von Wertpapierdienstleistungen entstehen. Dabei behält Herr Bahr stets die Perspektive der Investoren im Blick und analysiert, wie diese Änderungen dazu beitragen können, ihre Interessen besser zu schützen und fundierte Anlageentscheidungen zu ermöglichen. 

Fachliche Einschätzung von Herrn Bahr

Neue Pflichten in Anlageberatung und beratungsfreiem Geschäft

Mit dem Vorschlag der Retail Investment Strategy werden die bisherigen Grenzen zwischen beratungsfreiem Geschäft, Anlageberatung und Portfolioverwaltung verschoben. Außerdem soll mit einem Best-Interest-Test das Handeln im besten Interesse des Kunden in der Anlageberatung sichergestellt werden.

Erweiterte Angemessenheitsbeurteilung im beratungsfreien Geschäft

Das beratungsfreie Geschäft unterscheidet sich vom reinen Ausführungsgeschäft (execution only) durch die Verpflichtung, die Angemessenheit des Geschäfts für den Kunden beurteilen zu müssen und im Falle der nicht Angemessenheit den Kunden darauf hinzuweisen. Im neuen Art. 25 Abs. 3 nach der Retail Investment Strategy müssen in diese Beurteilung neben den bisherigen Prüfkriterien der Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden künftig auch die Fähigkeit zur Tragung von Verlusten sowie die Risikotoleranz in die Betrachtung einbezogen werden. Die beiden letztgenannten Kriterien finden sich aktuell in der Geeignetheitsbeurteilung in der Anlageberatung, nicht aber in der Angemessenheitsbeurteilung im beratungsfreien Geschäft. Hier findet also eine Grenzverschiebung im Charakter dieser Wertpapierdienstleistungen statt.  

In der Praxis stellen sich damit nicht unerhebliche Herausforderungen. Kenntnisse und Erfahrungen nehmen typischerweise zu, zumindest aber nicht ab. Die vorliegenden Daten des Kunden bleiben also für die Angemessenheitsbeurteilung valide oder führen allenfalls dazu, dass einem Kunden, der neue Kenntnisse oder Erfahrungen erworben hat, von dem das Institut noch nichts weiß, vielleicht einmal ein unnötiger Hinweis gegeben wird, dass ein Geschäft nicht angemessenen sei. Risikotragfähigkeit und Risikotoleranz können dahingegen volatiler sein und– je nach Lebenssituation des Kunden – auch abnehmen. In einer Anlageberatung, in der man den Kunden vor sich hat und aus der Interaktion ohnehin auf Veränderungen in der Lebenssituation eingeht, lassen sich die beiden Kriterien vergleichsweise einfach prüfen. Im beratungsfreien Geschäft ist aber nicht jedes Mal ein Evaluationsprozess vorgesehen. Um hinsichtlich dieser beiden Kriterien aber keine Fehlbeurteilung vorzunehmen, ist es fast unerlässlich, sich dazu vor jedem Geschäft die vorliegenden Informationen bestätigen zu lassen. Das führt dann dazu, dass der Prozess, bis ein Kunde eine Order abgeben kann, noch langwieriger würde. Damit geht diese Änderung an den Praxisbedürfnissen – vor allem von Kunden – nach schlankeren Prozessen, klar vorbei.

Erweiterte Geeignetheitsbeurteilung in der Anlageberatung

In der Anlageberatung ist die Geeignetheit einer Empfehlung anhand einer Vielzahl Kriterien zu beurteilen. Nach dem neuen Art. 25 Abs. 3 der Retail Investment Strategy kommt hier ein weiteres Kriterium hinzu. So soll künftig auch die Zusammensetzung etwaig bestehender Portfolios mitberücksichtigt werden. Wenngleich es auch bislang schon Angebote der Anlageberatung gibt, in der eine auf ein Portfolio abgestimmte Empfehlung gegeben wird, ist die Portfoliosicht etwas, das als verpflichtendes Element in die Portfolioverwaltung gehört. Der Portfolioverwalter trifft nicht nur nach eigenem Ermessen die Anlageentscheidung, sondern hat diese selbstverständlich auch auf das verwaltete Portfolio abzustimmen. Auch hier verschiebt sich also wieder der Charakter der Wertpapierdienstleistung ein wenig.

Best-Interest-Test

Ausweislich Erwägungsgrund 6 der Retail Investment Strategy habe sich das Merkmal der Qualitätsverbesserung im Kontext der Zuwendungen nicht als hinreichend wirksam erwiesen. Daher wird in Artikel 24 durch die Retail Investment Strategy ein neuer Absatz 1a ergänzt, der die Vorgaben für den sog. Best-Interest-Test enthält. Dieser gilt allerdings nicht nur als Rechtfertigung zur Vereinnahmung von Zuwendungen, sondern soll allgemein Voraussetzungen für ein Handeln im bestmöglichen Kundeninteresse bei der Anlageberatung regeln. Demnach muss künftig bei jeder Anlageberatung Folgendes erfüllt werden: 

  • der Beratung muss eine angemessene Palette an Finanzinstrumenten zugrunde liegen, 

  • es ist unter den als geeignet eingestuften Finanzinstrumenten bei ähnlichen Merkmalen das kosteneffizienteste zu empfehlen, 

  • es sind unter den geeigneten Finanzinstrumenten ein oder mehrere ohne zusätzliche Merkmale, die mit zusätzlichen Kosten einhergehen, zu empfehlen. 

Für das erste Kriterium stellt sich die Frage, was genau unter angemessen zu verstehen ist. Eine ausreichend große Angebotspalette sollte aber keine großen Schwierigkeiten mit sich bringen. Nach dem zweiten Kriterium ist nicht das kostengünstigste, sondern das kosteneffizienteste Finanzinstrument zu empfehlen. Da spielt mit hinein, dass dafür Produkte mit ähnlichen Merkmalen zu vergleichen sind. Zu den Merkmalen können auch Renditeerwartungen oder andere Vorteile sich für den Kunden rechnen. Als Beispiele für das dritte Kriterium sind im sechsten Erwägungsgrund der Retail Investment Strategy besondere Anlagestrategien, Kapitalgarantien oder Absicherungsmechanismen genannt. Eine sehr wichtige Frage wird sein, ob ein aktives Fondsmanagement als zusätzliches Merkmal angesehen wird. Auf jeden Fall bietet das Merkmal so viel Spielraum für Auslegung im Rahmen späterer Verwaltungspraxis, dass darüber ein Provisionsverbot durch die Hintertür drohen könnte.


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