Gepostet am 14. Mai 2025 von
Aus Sicht vieler Stakeholder ist die Anpassung der Abwicklungsfrist zwar unvermeidbar, jedoch sind erhebliche Auswirkungen und erforderliche Maßnahmen für sämtliche Marktteilnehmer, die von der Umstellung betroffen würden, abzusehen.
Mit dem am 12. Februar 2025 vorgelegten Vorschlag zur Überarbeitung der Verordnung über Zentralverwahrer (CSDR) hat die Europäische Kommission den Weg für diese tiefgreifende Veränderung im europäischen Finanzmarkt bereitet.
Die Umstellung des Abwicklungszyklus auf T+1 im europäischen Wertpapiermarkt ist eine logische Konsequenz, die aus Sicht der Marktteilnehmer obligatorisch und nur eine Frage der Zeit ist. Mit der Umstellung folgt Europa einem sich im weltweiten Kontext entwickelnden und mittlerweile verankerten Standard. Die wichtigsten Wertpapiermärkte haben die Umstellung zu dem T+1 Abwicklungszyklus bereits vollzogen, darunter USA, Kanada, China und Indien. Großbritannien, die Schweiz, Japan sowie Australien werden diesem neuen Standard zeitnah folgen – entsprechende Umsetzungsmaßnahmen wurden bereits zumindest zum Teil gestartet. In Asien wird bereits über eine Verkürzung des Wertpapierzyklus auf T+0 diskutiert.
Die Maßnahme ist Teil einer globalen Entwicklung, die auf eine höhere Effizienz, geringere Risiken und eine stärkere Resilienz der Kapitalmärkte abzielt. Die EU folgt diesem Weg – mit voraussichtlicher Umsetzung zum 11. Oktober 2027
Zielsetzung: Risikoreduktion, Effizienzsteigerung, Marktintegration
Laut der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) dient die Verkürzung auf T+1 insbesondere der Reduzierung des Kontrahentenrisikos, der Senkung von Kapitalanforderungen (insbesondere bei CCPs) sowie der Harmonisierung mit internationalen Standards. In ihrem im November 2024 veröffentlichten Bericht zur Verkürzung des Abwicklungszyklus verweist die ESMA zudem auf die erhöhte Marktresilienz in Stressphasen sowie auf die frühere Verfügbarkeit von Geldern und Wertpapieren für Anleger als potenzielle Vorteile. Die positiven Effekte der Umstellung liegen also auf der Hand.
Es bleibt alles wie es ist, es muss nur schneller gehen!
Die technische Realität: Komplexität in einem fragmentierten Markt
Der Weg zu T+1 ist keineswegs trivial. Das europäische Marktumfeld zeichnet sich durch hohe strukturelle Komplexität aus – mit über 90 Handelsplätzen, 14 zentralen Gegenparteien (CCPs), 34 Zentralverwahrern (CSDs) sowie einer Vielzahl nationaler Besonderheiten in Bezug auf Handelszeiten, Clearingverfahren und Abwicklungsplattformen (insbesondere T2S). Hinzu kommt die Multizahlungssystemstruktur mit 11 Währungen im europäischen Wirtschaftsraum.
Sämtliche Bereiche eines Wertpapierhandelsgeschäfts, also Handel, Clearing, Settlement sowie die Liquiditätsversorgung - besonders mit asiatischen Währungen - sind von der Umstellung betroffen. Aktuelle Schätzungen prognostizieren eine Verkürzung der verfügbaren Zeit für Post-Trade-Prozesse um geschätzte 90%. Diese sind keineswegs aus der Luft gegriffen. Die Umstellung der US-Amerikanischen Märkte auf T+1 lieferte die Basis für diese Schätzung.
Eine zentrale Herausforderung besteht darin, alle Vor- und Nachhandelsprozesse – von der Zuweisung und Bestätigung von Trades über das Collateral Management bis hin zur finalen Abrechnung – innerhalb deutlich kürzerer Zeiträume vollständig zu automatisieren. Die ESMA verweist hierbei auf die Notwendigkeit einer flächendeckenden Anwendung von ISO 20022 sowie einer weiteren Harmonisierung von Marktpraktiken und Betriebszeiten.
Insbesondere der Handelsbereich muss sich auf die neuen verkürzten Zeiten einstellen. Die verfügbare Zeit für die Bestätigung und Abstimmung von Trades wird stark reduziert. Bei T+2 haben Händler noch einen zusätzlichen Tag für Korrekturen, während bei T+1 sämtliche Anpassungen innerhalb eines einzigen Handelstages erfolgen müssen. Dies führt zu einem stärkeren Druck auf Straight-Through-Processing (STP), da Verzögerungen das Settlement-Risiko erhöhen.
Auch die Überschneidung der Handelszeiten, die zum Teil bis 22.00 Uhr und der um 20:00 Uhr beginnenden T2S-Night Time Settlements erfordern eine Anpassung der Koordination bei Händlern. Diese müssen ihre Handelsstrategien so ausrichten, dass die Nachhandelsprozesse rechtzeitig angestoßen werden. Das erfordert eine stringente Abstimmung und Koordination zwischen dem Handel und den Nachhandelseinheiten. Das wird insbesondere für die Händler eine neue Erfahrung darstellen.
Die Auswirkungen auf das Clearing sind nicht weniger bedeutsam. Insbesondere die Nettingprozesse, die aktuell noch am Ende des Handelstages greifen, müssen vorgezogen werden. Aber auch Anpassungen von Clearing- und Settlement-Zeiten stellen eine enorme Herausforderung dar. Die Synchronisation mit anderen Märkten, wie z.B. UK oder USA, verstärkt zudem diese Effekte. Unabgestimmte Prozesse zwischen internationalen Teilnehmern können zu Ineffizienzen im Clearing führen. Insgesamt müssen die Cut-Off-Zeiten einer durchdachten Anpassung unterzogen werden.
Die Auswirkungen auf die Settlementprozesse bilden das Ende der Kette. Technische und regulatorische Anpassungen im Settlement sind für eine reibungslos verlaufende Prozessierung erforderlich. Mit der Umstellung wird - zumindest in der Anfangszeit - eine stark ansteigende Zahl von Settlement-Fails erwartet Die Regulierer müssen also neue Wege für den Umgang mit der Abwicklungsdisziplin finden.
Die Notwendigkeit, Daten in Echtzeit zu verarbeiten und zu übertragen, erhöht zusätzlich den Druck und erfordert eine stabile technologische Resilienz. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Datenintegrität und Datenqualität während des gesamten Prozesses gewährleistet sind. Mit einem schnelleren Settlement-Zyklus müssen Unternehmen ihre Risikomanagementstrategien überdenken, um potenzielle Risiken, die durch die verkürzte Zeitspanne entstehen, besser zu steuern.
Im Rahmen der öffentlichen Konsultationen zum Thema T+1 haben zahlreiche Marktteilnehmer Stellung genommen – darunter Verbände wie der BVI (Bundesverband Investment und Asset Management) sowie die ICMA (International Capital Market Association). Die Rückmeldungen bestätigen die von der ESMA identifizierten Herausforderungen und ergänzen sie um branchenspezifische Aspekte. Zusammenfassend konstatieren die Verbände die Umstellung als erforderlich, um im globalen Kontext die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Märkte zu erhalten. Gleichzeitig machen sie auf die umfangreichen Umsetzungsanforderungen und potenziellen weitreichenden negativen Auswirkungen aufmerksam.
Diese Rückmeldungen unterstreichen: Die Umstellung auf T+1 ist ein Transformationsprojekt, das nicht nur technische, sondern auch strategische und regulatorische Fragen aufwirft.
Die ESMA empfiehlt eine europaweit koordinierte Umstellung auf Montag, den 11. Oktober 2027. Dieses Datum wurde gewählt, um den ersten Montag eines neuen Quartals zu vermeiden und ausreichende Vorbereitungszeit zu gewährleisten.
Die Umsetzung soll in mehreren Phasen erfolgen:
Analyse und Standardisierung bestehender Prozesse (2025)
Technische Umsetzung und Tests in Kooperation mit Marktinfrastrukturen (2026)
Go-Live-Vorbereitung und Migration (bis Q3 2027)
Die geplante Umstellung auf T+1 markiert eine Zäsur in der Wertpapierabwicklung in Europa. Sie folgt einem internationalen Trend, erfordert jedoch erhebliche Anpassungen im bestehenden Marktgefüge. Sowohl die ESMA als auch die betroffenen Marktteilnehmer erkennen in T+1 eine Chance zur Effizienzsteigerung, betonen zugleich aber die Notwendigkeit sorgfältiger Vorbereitung, Harmonisierung und Automatisierung.
Die neuen Anforderungen an die Abwicklungsprozesse erfordern vor allem technologisch eine Neuorientierung für viele Marktteilnehmer. Automatisierte STP-Verarbeitungen bilden die Grundlage für eine erfolgreiche Teilnahme am Markt und zwingen die Unternehmen, neue Technologien - mitunter auch den gezielten Einsatz von Künstlicher Intelligenz - zu überdenken.
Der Zeitraum bis Oktober 2027 ist somit keine Komfortzone, sondern ein kritisches Zeitfenster für die strukturelle Neuausrichtung der Nachhandelsprozesse im europäischen Finanzmarkt.
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