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Gepostet am 28. Mai 2024 von  Alexander Bahr, Mitglied im Vorstandsstab (Bereich Strategie und Regulatorik) bei der dwpbank; Thorsten Reepen, Projektmanager bei Severn Consultancy 🕐 5 min Lesezeit

Serie zur Retail Investment Strategy der EU-Kommission (Neuer Pflichtenumfang in der Product Governance)

Willkommen zum vierten Teil unserer fortlaufenden Blog-Serie zur Retail Investment Strategy der EU-Kommission. Die europäische Finanzwelt steht vor einem Umbruch. Nach der weitreichenden MiFID II-Regulierung, die bereits erheblichen Wandel brachte, folgt nun die Retail Investment Strategy der EU-Kommission, welche tiefgreifende Reformen einleitet, die den Markt nachhaltig verändern sollen. In den vergangenen Wochen haben wir uns gemeinsam mit Herrn Alexander Bahr von der dwpbank mit den tiefgreifenden Änderungen und Herausforderungen dieser Strategie befasst. Bisher haben wir intensiv das Provisionsverbot in verschiedenen Anlageformen und die neuen Pflichten in der Anlageberatung sowie im beratungsfreien Geschäft behandelt. Die Retail Investment Strategy zielt darauf ab, Transparenz und Anlegerschutz im europäischen Finanzmarkt zu stärken. Sie umfasst Reformen, die Kleinanlegern helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen und ihre Interessen zu wahren.


Lesen Sie dazu auch unsere ersten drei Teile der Serie


Der heutige Fokus

Heute wird sich Herr Bahr einem weiteren zentralen Aspekt dieser Strategie zuwenden: 

Dem neuen Pflichtenumfang in der Product Governance

Diese Neuerung reguliert die Preisbildungsverfahren für Finanzinstrumente und hat erhebliche Auswirkungen auf Hersteller und Distributoren von Finanzprodukten. Ziel der EU-Kommission ist es sicherzustellen, dass alle Kosten und Entgelte von Finanzinstrumenten gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Dies soll durch die Einführung von Kostenbenchmarks erreicht werden, die den Marktteilnehmern als Vergleichswerte dienen. Diese Regelungen fördern eine transparente und faire Preisgestaltung zum Schutz der Kleinanleger. Allerdings könnte dies auch eine Preisspirale nach unten auslösen und erhebliche bürokratische Aufwände für die Marktteilnehmer mit sich bringen. Herr Bahr wird in diesem Beitrag detailliert erläutern, welche spezifischen Veränderungen die neuen Pflichten mit sich bringen und wie sie sich auf die Praxis der Finanzdienstleister auswirken. Dabei wird er auch die Herausforderungen und Chancen analysieren, die diese Neuerungen für die Branche und die Verbraucher mit sich bringen.

Fachliche Einschätzung von Herrn Bahr

Neuer Pflichtenumfang in der Product Governance

Neben dem Thema Provisionsverbot haben die Vorschläge für die Ergänzung der Product Governanve sicherlich die größten Diskussionen ausgelöst. In den ausführlichen Erläuterungen zur Retail Investment Strategy hat die EU-Kommission dazu ausdrücklich angeführt, dass es ihr Ziel sei, „die Preisbildungsverfahren zu regulieren“. Das ist ein Ziel, das erwartungsgemäß Diskussionen und Widerstand auslösen musste, denn von einer Regulierung von Preisbildungsverfahren ist es nicht mehr weit zu einer Regulierung von Preisen. Aber der Vorschlag ist auch wegen enormen Bürokratieaufwänden und einer damit zwangsläufig einhergehenden, nach untern kreisenden Preisspirale in der Kritik. Die Product Governance wird nach dem Vorschlag der Retail Investment Strategy künftig gesamthaft in Artikel 16-a (das kleine „-“ ist kein Versehen) geregelt, der auch die bestehenden Regelungen des bisherigen Art. 16 Abs. 3 UAbs. 2-7 aufnimmt. Von den nachfolgenden Darstellungen sind im Wertpapierbereich im Übrigen auch Fondsverwalter nach der OGAW-Richtlinie oder der AIFM-Richtlinie betroffen.

Herstellerpflichten

Die neuen Pflichten zum Preisbildungsverfahren greifen für alle Finanzinstrumente, die die Merkmale eines PRIIP erfüllen. Neben den bisherigen Verpflichtungen im Rahmen der Produktfreigabe und Produktüberwachung (u. a. Bestimmung des relevanten Zielmarkts) müssen künftig alle Kosten und Entgelte eines Finanzinstruments ermittelt und quantifiziert werden. Anschließend muss bewertet werden, ob diese Kosten und Entgelte gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Dabei sind Merkmale, Ziele, Strategie und Wertentwicklung des Finanzinstruments mit ins Kalkül zu ziehen. Soweit wird das die Produkthersteller im Grundsatz nicht vor Probleme oder echte Neuerungen stellen. Denn das ist so bislang zwar nicht explizit geregelt, dürfte bei den allermeisten Produktherstellern aber gleichwohl ganz selbstverständlich in die Produkterstellungsprozesse gehören. Neu ist aber, dass die Kosten mit einem einschlägigen Referenzwert (im folgenden Kostenbenchmark) zu vergleichen sein werden (Details zu den Kostenbenchmarks weiter unten). Weicht das kreierte Produkt mit seinen Kosten und Entgelten nach oben von der Kostenbenchmark ab, muss der Hersteller durch weitere Tests und Bewertungen in der Lage sein, diese Abweichung zu rechtfertigen. Gelingt das nicht, darf es im Prozess keine Produktfreigabe geben. 

Distributorenpflichten

Diese Pflichten gelten nicht nur für den Produktersteller, sondern ebenso für Distributoren. Diese haben neben den Produktkosten ergänzend noch die Vertriebskosten für das jeweilige Produkt in die Betrachtung einzubeziehen. Und auch Distributoren müssen einen Vergleich mit dem jeweils einschlägigen Referenzwert vornehmen. Das heißt also, zu jedem Produkt wird es zwei einschlägige Referenzwerte bzw. Kostenbenchmarks geben müssen: eine Kostenbenchmark, die für das Produkt an sich einschlägig ist und eine Kostenbenchmark, die für den Vertrieb dieses Produkts einschlägig ist. Und auch für Distributoren gilt, dass diese bei negativer Abweichung von der Kostenbenchmark, entweder durch zusätzliche Tests und Bewertungen die Kosten rechtfertigen können, oder das Finanzinstrument darf weder angeboten noch empfohlen werden.

Methode für die Kostenbenchmarks

Für die Kostenbenchmarks ist vorgesehen, dass es diese jeweils für Finanzinstrumente, die ein ähnliches Wertentwicklungsniveau sowie ähnliche Risiken, Strategien, Zielen oder andere Merkmale aufweisen, geben soll. Die Kostenbenchmarks für die Produkte sollen nicht nur Aussagen zu den Gesamtkosten, sondern auch zu Kostenkomponenten treffen und die Kostenbenchmarks für den Produktvertrieb sollen Aussagen sowohl zu den Gesamtkosten als auch zu den Vertriebskosten treffen. Die Verantwortung für Entwicklung und Veröffentlichung wird ESMA übertragen und die Methode zur Entwicklung der Kostenbenchmarks soll in einem delegierten Rechtsakt festgelegt werden. Die Details sind in der Retail Investment Strategy also noch unbestimmt. Absehbar ist aber, dass allein die Entwicklung bei einer diversen Vielzahl an Finanzinstrumenten, die in die Hunderttausende gehen, eine sehr komplexe und nicht zu unterschätzende Aufgabe wird. Allein die Bildung von Produktgruppen mit ähnlichem Wertentwicklungsniveau dürfte bei Kapitalmarktprodukten hinreichend volatil sein. Außerdem wird auch die Anzahl der Kostenbenchmarks vermutlich beträchtlich sein müssen. Es bleibt zumindest zu hoffen, dass es hinreichend viele und hinreichend granular unterschiedliche Kostenbenchmarks geben wird, um in den Kostenvergleichsprozessen den Bedürfnissen der Hersteller und Distributoren einigermaßen gerecht zu werden.

Datenübermittlung zur Ermittlung der Kostenbenchmarks

Die Kostenbenchmarks werden sich anhand der im Markt tatsächlich gegebenen Kostenstrukturen errechnen. Und damit ESMA die dafür notwendigen Datengrundlagen erhält, übermitteln die zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten entsprechende Daten an ESMA. Die nationalen Behörden erlangen diese Daten wiederum durch entsprechende Meldungen der Hersteller als auch der Distributoren. Die EU-Kommission hat in den ausführlichen Erläuterungen zur Retail Investment Strategy angegeben, dass die Datensätze soweit wie möglich auf bestehenden Offenlegungspflichten beruhen sollten. Allerdings bestehen zumindest in Deutschland aktuell keine Meldungen an die BaFin, die entsprechend strukturiert sind, dass sich daraus auch eine fundierte Meldung an ESMA herleiten ließe. Daher ist zu erwarten, dass die Aussage der EU-Kommission eine leere Absichtsbekundung bleiben wird. Aus der Administration der Kostenbenchmarks wird sich erheblicher bürokratischer Aufwand einerseits für die Etablierung der notwendigen Prozesse für entsprechende Kostenmeldungen und andererseits auch für den laufenden Betrieb der Kostenmeldungen ergeben. Und das für alle Hersteller und sämtliche Distributoren.

Preissenkungsspirale

Wesentliche Kritik richtet sich, neben dem bürokratischen Aufwand, vor allem darauf, dass der Mechanismus der Kostenbenchmarks eine Preisspirale nach unten auslösen wird, bei der die Produktqualität vollkommen auf der Strecke bleibt. Jeder Hersteller wir bemüht sein, sich mit neuen Produkten unterhalb, zumindest nicht oberhalb der Benchmark zu bewegen. D.h. künftige Eingangsfaktoren für die Ermittlung aktualisierter Kostenbenchmarks werden niedriger sein als die Eingangsfaktoren aktueller Kostenbenchmarks. Das wird über die Zeit zwangsläufig dazu führen, dass sich die Kostenbenchmarks stetig nach unten bewegen werden. Das wiederum wird die Produkthersteller dazu zwingen, wieder günstiger zu werden, wenn sie nicht oberhalb der Benchmark liegen wollen. Ein solcher Mechanismus kann auf Dauer nicht sinnvoll funktionieren.

Ausblick auf den nächsten Teil: Kostentransparenz im Fokus

Damit schließen wir den vierten Teil unserer Blog-Serie zur Retail Investment Strategy der EU-Kommission ab. Herr Alexander Bahr hat dabei ausführlich die neuen Regelungen zur Product Governance, sowie die weitreichenden Auswirkungen, die Informationspflichten und die Darstellung von Kosten für Finanzinstrumente erläutert. Im nächsten Teil unserer Serie werden wir uns mit dem Thema "Kostentransparenz" beschäftigen. Erfahren Sie, wie die neuen Vorschriften zur Offenlegung von Kosten den Anlegerschutz verbessern sollen und welche Maßnahmen die EU-Kommission plant, um eine klarere und gerechtere Darstellung von Anlagekosten zu gewährleisten. 


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