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Gepostet am 15. April 2016 von  Dr. Martin Rohmann, Geschäftsführer von ORO Services in Compliance/Riskmanagement

Interne Ratingmodelle auf dem Abstellgleis

Ginge es nach dem Basler Ausschuss, wäre die Verwendung interner Ratingmodelle zur Berechnung der Eigenmittelunterlegung von Banken für viele Geschäftssegmente bald passé. So ist es zumindest im Konsultationspapier zu lesen, das der Ausschuss am 24. März veröffentlicht hat. Demnach soll der IRB-Ansatz (Ansatz für Interne Ratings) künftig vollständig für Banken und Finanzinstitute, für große Firmenkunden (Large Corporates) mit einer Bilanzsumme im Konzern größer als 50 Mrd. Euro, Spezialfinanzier oder das kommerzielle Immobiliengeschäft sowie für Beteiligungen entfallen.

Dabei war die Devise in der Vergangenheit eine völlig andere: Mit dem Inkrafttreten von Basel II hatte die Bankenaufsicht im Jahr 2007 die ersten internen Ratingmodelle für Kreditrisiken nach langer Konsultation geprüft und genehmigt. Endlich sollte die Bemessung der Eigenmittelunterlegung risikosensitiv in Abhängigkeit der Portfolioqualität von Kreditinstituten erfolgen - natürlich nur nach eingehender Prüfung und nur bei solchen Banken, die die hohen Anforderungen an das eigene Risikomanagement erfüllen. Demnach mussten nicht nur die Ratingmodelle ausgefeilt und weit entwickelt sein, sondern auch die Risikoprozesse und -systeme. Um für Banken einen Anreiz zur Verbesserung ihres Risikomanagements zu schaffen, waren die Ansätze für interne Ratings (Basis- und Fortgeschrittener Ansatz) so kalibriert, dass bei durchschnittlicher Portfolioqualität eine Eigenmittelersparnis gegenüber dem Standardansatz erreicht wurde. Regelmäßiges Backtesting der Ergebnisse und eine umfassende Validierung der Modelle sowie Prüfungen durch die Bankenaufsicht sollten die Qualität und Adäquanz der Modelle gewährleisten.

In den Banken sind diese Modelle über mehrere Jahre im Rahmen von Großprojekten entwickelt und im Nachgang optimiert worden. Sie haben teilweise nicht nur einen hohen Entwicklungsstand, sondern auch eine mitunter kaum zu bewältigende Komplexität erreicht. Für Außenstehende und praktisch auch für alle Bankmitarbeiter, die nicht unmittelbar mit diesen Modellen arbeiten, haben die internen Ratingmodelle häufig einen Blackbox-Charakter, und die Ergebnisse sind gelegentlich schwer nachzuvollziehen. Für Außenstehende sind die RWA und die Eigenmittelunterlegung der Banken ohnehin kaum erklärbar - ein Umstand, der dem Vertrauen in das Risikomanagement und die Eigenmittelausstattung der Banken eher abträglich ist.

Erhebliche Einschränkungen für Banken

Bereits im Juli 2013 hatte der Basler Ausschuss als neue Richtschnur die Prinzipien Risikosensitivität, Einfachheit und Vergleichbarkeit postuliert. Zwischenzeitliche Studien zur Vergleichbarkeit der RWA haben eine erhebliche Variabilität der RWA bei Anwendung der internen Ratingmodelle unterschiedlicher Banken sogar für identische Portfolien gezeigt. In der knappen Begründung des Konsultationspapiers vom 24. März heißt es nun, dass die vorgeschlagenen Änderungen darauf abzielen, die Komplexität des Regulierungsrahmens zu reduzieren, die Vergleichbarkeit der RWAs verschiedener Banken zu verbessern und die exzessive Variabilität der Eigenmittelanforderungen zu adressieren.

Diese Vorschläge sind jedoch sehr weitreichend und bedeuten eine erhebliche Einschränkung der Nutzung interner Ratingmodelle: Für viele wesentliche Segmente werden diese bei der Bemessung der Eigenmittelunterlegung schlicht nicht mehr zulässig sein, denn

  • der IRB- Ansatz (Ansatz für Interne Ratings) entfällt zukünftig vollständig für Banken und Finanzinstitute, für große Firmenkunden (Large Corporates) mit einer Bilanzsumme im Konzern größer als 50 Mrd. EUR. sowie für Beteiligungen,
  • der Fortgeschrittene IRB-Ansatz (A-IRB) ist nicht mehr anwendbar für Firmenkunden mit jährlichen Erlösen größer EUR 200 Mio.,
  • für Spezialfinanzierungen, also Projektfinanzierungen oder auch das kommerzielle Immobiliengeschäft, ist der IRB-Ansatz nicht mehr anwendbar; Hier stehen der Standardansatz sowie der aufsichtliche Slotting-Approach zur Verfügung
  • auch für Counterparty Credit Risk und Credit Value Adjustment (CVA) werden die internen Modelle eingeschränkt bzw. herausgenommen.

Offen bleibt vorerst die Behandlung von Staaten (Sovereigns), deren zukünftige Behandlung noch in einem separaten Schritt untersucht wird. Interne Modelle dürften auch hier zukünftig keine Rolle mehr spielen.

Geringe Ausfallraten entscheidend

Welche Segmente kann demnach noch ein vollumfänglicher IRB-Ansatz angewendet werden? Die Anwendung wird sich künftig im Wesentlichen auf die Retail-Segmente und Firmenkunden unterhalb bestimmter Größenschwellen beschränken. Dabei handelt es sich allerdings um die größten und wichtigsten Geschäftssegmente der meisten Banken, und die Parameter lassen sich aufgrund der vergleichsweise guten Datenlage relativ verlässlich ermitteln.

Aber auch für diese Portfolien werden weitere Beschränkungen vorgeschlagen, insbesondere Untergrenzen für die Parameter Ausfallwahrscheinlichkeit PD und Verlusthöhe bei Ausfall (LGD) sowie die anzuwendenden Abschlagsfaktoren (Haircuts) bei risikomindernd anzusetzenden Sicherheiten.

Als Begründung für den Wegfall des IRB-Ansatzes für Banken und große Industrieunternehmen werden die typischerweise geringen Ausfallraten in diesen Portfolien genannt, die eine verlässliche Modellierung erschweren, sowie die Tatsache, dass für diese Kontrahenten in der Regel sehr gute Informationen am Markt verfügbar sind und Einschätzungen von Ratingagenturen vorliegen. Banken selbst haben in diesen Segmenten selten einen Informationsvorsprung, sodass die internen Ratingverfahren nicht zu verlässlicheren Einschätzungen führen als die verfügbaren Informationen, die in den Standardansatz einfließen. Das zuletzt genannt Argument ist zumindest insofern fragwürdig, als die Banken regelmäßig angehalten sind, sich nicht auf die Einschätzung externer Agenturen zu verlassen, sondern immer eine eigene Risikoanalyse vorzunehmen.

Die Ziele Einfachheit und Vergleichbarkeit werden mit den Vorschlägen erreicht, bei der Risikosensitivität sind jedoch Abstriche zu machen. Schwer vorherzusehen sind aktuell die gesamthaften Auswirkungen auf die Eigenmittelunterlegung der Banken. Bei den meisten Kreditinstituten dürften die internen Ratingmodelle bisher zu geringeren Kapitalanforderungen führen als der Standardansatz.

Ziele von Basel II in Frage gestellt

Der Basler Ausschuss strebt keine signifikante Anhebung der gesamten Kapitalanforderungen an. Um dies zu erreichen, ist aber eine Neukalibrierung des Eigenmittelrahmens für Kreditrisiken erforderlich. Der Ausschuss hat deswegen auch schon eine umfassende quantitative Auswirkungsstudie angekündigt. Im Basel II-Rahmenwerk müssen nicht nur alle Stellhebel austariert werden, auch die Auswirkungen auf die verschiedenen Segmente werden zwangsläufig vielfältig sein. Dies dürfte wiederum aufwändige Konsultationen nach sich ziehen. Selbst wenn der Basler Ausschuss sein Vorhaben wie geplant im Laufe dieses Jahres abschließen sollte, wird die nachfolgende europäische Umsetzung noch hohen Abstimmungsbedarf mit sich bringen.

Mit der Einschränkung der internen Ratingmodelle werden auch die Zielsetzungen von Basel II, insbesondere die Förderung fortgeschrittener Risikomanagementmethoden in den Banken, in Frage gestellt. Die Anwendung interner Modelle wurde nur solchen Banken genehmigt, die nach einer umfassenden Prüfung nicht nur die Validität der Modelle sondern auch die Qualität Ihrer Risikomanagementprozesse und -systeme nachweisen konnten. Die Anreize zur Weiterentwicklung der Risikomanagementverfahren, die mit der Anwendung interner Modelle verbunden sind, werden künftig zumindest abgeschwächt. Die mit viel Aufwand entwickelten und gepflegten internen Ratingmodelle werden für einige Segmente noch für das interne Risikomanagement und die Säule II relevant sein, aber nicht mehr für die Eigenmittelunterlegung der Säule I.

Die Einführung der internen Ratingansätze für Kreditrisiken war ein wesentliches Kernelement von Basel II. Die vorgeschlagene Einschränkung der Verwendung interner Ratings ist damit auch eine deutliche Korrektur des Basel II-Rahmenwerks. Und es bedeutet auch ein Eingeständnis, dass weder die Prüfung und Anerkennung der internen Ratingverfahren durch die Bankenaufsicht, noch die Publizitätsanforderungen gemäß Säule III von Basel II eine hinreichende Vergleichbarkeit der Ergebnisse in den einzelnen Banken und ein "level playing field" gewährleisten können.

Die Börsenzeitung hat am 14.04.2016 einen Gastbeitrag von Dr. Martin Rohmann mit dem Titel "Die (Beinahe-) Abschaffung interner Ratingmodelle" veröffentlicht.

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